Der Apfel schmeckt auch nach dem Winter noch - Phasen im Leben
Es ist Frühling. Überall singen die Vögel und man sieht erste Knospen an den Zweigen und Frühblüher schenken erste Farbe im Garten. Ich klopfe Sitzkissen aus und sitze zum ersten Mal wieder mit einem Kaffee im Garten, die Sonne im Gesicht. Dabei fällt mir ein, was eine Teilnehmerin bei einem meiner Waldspaziergänge neulich sagte: “Der Apfel schmeckt noch saftig! Nach so langer Zeit!”
Im Rahmen einer Achtsamkeitsübung im Wald hatte ich einen Apfel mitgebracht, kleingeschnitten und verteilt. Auf einer Lichtung im Wald standen wir im Kreis und aßen schweigend und mit kleinen Bissen den Apfel vom letzten Jahr. Der süße Saft war so präsent bei jedem Bissen! Was für ein Geschenk, dass wir dort im Wald im Vorfrühling aus dem letzten Spätsommer erfahren durften, in dem ja der kleine Apfel geerntet worden war.
Ich denke darüber nach, was sich daraus für das Leben lernen lässt. Denn auch das ist ein Teil der Psychotherapie in und mit der Natur: Weil wir ein Teil der Natur sind und sie ein Teil von uns, finden wir in der Betrachtung und im Erleben der Natur Hinweise für unser Leben.
Der Apfel schmeckt auch nach dem Winter noch, nachdem er viele Wochen schon nicht mehr am Baum hängt. So ist es auch mit den Früchten, die unser Leben immer wieder trägt. Aber es ist eben nicht immer Zeit, um Früchte zu tragen! Wenn wir das immer von uns selbst erwarten - oder andere das von uns erwarten, erschöpft sich unsere Kraft.
Wie in der ganzen Natur gibt es auch im Leben eines Menschen verschiedene Phasen. Manchmal ist Winter: Zeit für Rückzug, Stille und Ruhe. Was aussieht wie nutzloser Stillstand ist wichtig: Altes wird verarbeitet. Stille und Kälte atmend sammeln wir Kraft in der Ruhe. Ohne diese Phase wird es schwer, Neues hervor zu bringen.
Dann kommt der Frühling: Neues zeigt sich. Manchmal zaghaft und langsam, manchmal als Explosion. Wir strecken uns im immer wärmer werdenden Licht nach neuen Räumen, wachsen, trauen uns neue Dinge zu. Die Zeit des Mutes!
Im Sommer dann arbeiten wir daran, dass die Früchte wachsen können, die Ende des Sommers geerntet werden. Von diesen können wir lange zehren!
Im Herbst müssen wir loslassen: Von Ideen und Projekten, vielleicht auch von Verbindungen, die uns nicht gut tun. Wir müssen unsere Glaubenssätze überprüfen, Rückschau halten. Wie bei einem Baum, der seine Blätter loslässt, die dann bunt im Wind zu Boden tanzen. Ohne Loslassen kein neues Wachstum. Und dann kommt wieder der Winter, der uns Zeit und Ruhe lässt. Und wir dürfen uns an die Früchte erinnern, ihren Saft schmecken, der sich bis in diese Zeit gehalten hat.
Alles, was du brauchst, ist bereits in dir! Aber es ist nicht immer Zeit, um Früchte zu tragen.